Verfahrenstechnik Teiglinge (Teil 3)

Hefe- und Enzymaktivität

  1. Wie beeinflussen Temperatur und Gärung die Herstellung von Weizenkleingebäcken?
  2. Welche Schlüsseltemperaturbereiche sind für die Steuerung der Gärprozesse relevant?
  3. Wie können verschiedene Temperaturbereiche kombiniert werden, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen?
  4. Wie wirken sich Hefe- und Enzymaktivität auf die Teigqualität aus?
  5. Welche Faktoren müssen bei der Bewertung von Teiglingsbackverfahren berücksichtigt werden?
  6. Was ist bei der Einführung eines (neuen) Herstellverfahren zu beachten?

Dass überhaupt für ein und dasselbe Produkt (hier vor allem aus dem Bereich der Weizenkleingebäcke) eine Vielfalt unterschiedlicher Herstellungsverfahren entstehen konnte, verdanken die Bäcker dem Umstand, dass einer der wichtigsten Herstellungsschritte temperaturabhängig verläuft und deshalb durch gezielte Steuerung der Temperatur auch beschleunigt, verlangsamt oder sogar (fast) vollständig gestoppt werden kann: Das Gären.

Die Bandbreite der bei der Gärung nutzbaren Temperaturen ist durch die Bestandteile des „Rohmaterials“ vorgegeben, das alle Bäcker dieser Welt nun einmal verarbeiten: Teig. Zwei Inhaltsstoffe des Teigs sind es vor allem, die sich durch Klimatisierung gezielt beeinflussen lassen: Die Hefe, die mit den im Zuge der Gärung entstehenden Gasblasen Teig und Teiglinge lockert. Und eine Vielzahl von Enzymen, die in komplexen biochemischen Prozessen zum Beispiel die Spaltung von Stärke bewirken und dabei ganz entscheidend zur Ausbildung von wesentlichen Qualitätsfaktoren wie Aroma, Farbe und Geschmack beitragen. 

Neben der Auswahl der geeigneten Rohstoffe und Rezepturen sind es daher vor allem die verschiedenen Temperaturniveaus und die diversen Verfahren der Bäckerkälte, mit denen der Bäcker diese biochemischen Vorgänge steuert. Aus den temperaturbedingten Aktivitäten von Hefe und Enzymen ergeben sich folgende Schlüsseltemperaturbereiche, mit denen sich Gärprozesse steuern lassen:

Den Gärprozess steuern: Die Temperatur macht den Unterschied

+20 bis +40 °C

Gären bei Raumtemperatur bis hin zum forcierten Gären (beim „Gärungsoptimum“ von +32 °C).

+5 bis +20 °C

Verlängerung der Gärzeit durch Kühlung (d.h.: verlangsamte Gärung) im Plus-Temperaturbereich. Je nach Prozess sind Gärzeiten von 4, 8 oder auch bis zu 24 Stunden möglich. Da Hefe und Enzyme weiter aktiv sind, findet eine echte Entkopplung des Backprozesses von der Aufbereitung und Gärung auf diesem Temperaturniveau noch nicht statt.

-6 bis +5 °C

Der Temperaturbereich mit geringer bis geringster Hefeaktivität, allerdings ohne Ausfrieren des im Teig enthaltenen Zellwassers, also praktisch bis zum „Gefrierpunkt“ vom Teig. Weil dabei der energieintensive Wechsel des Aggregatszustands bei -7 °C nicht vollzogen wird, die Enzymaktivität aber noch immer erhalten bleibt, führt die Gärverzögerung mit vergleichsweise geringem Energieeinsatz zu qualitativ hochwertigen Gebäcken. Ein Zeitfenster von maximal 36 Stunden bleibt aber nach wie vor einzuhalten.

-18 bis -7 °C

Gärunterbrechung: Die Hefegärung wird gestoppt, während die enzymatische Aktivität zwar stark verlangsamt, aber nicht vollständig zum Erliegen gebracht wird. Daher ist die Haltbarkeit der auf diesem Niveau gelagerten Waren auch je nach Produkt und Verpackungsart nach wie vor begrenzt. Während bei verpackter Ware kein Luft- und Feuchtigkeitsaustausch mit der umgebenden Raumluft stattfindet, was entsprechend längere Lagerphasen möglich macht, sind unverpackte Teiglinge sowohl für eine Austrocknung als auch für eine Anfeuchtung aus der Raumluft empfindlich. Brötchen haben einen Lagerhorizont von etwa 3 bis 4 Tagen, Plunder sogar von 7 bis 10 Tagen. Weil zum Erreichen dieses Temperaturbereichs das Gefrierintervall bei ca. -7 °C durchschritten werden muss, ist der Energieaufwand im Vergleich zur Gärverzögerung deutlich erhöht.

< -18 °C

Tiefkühlung: Bei Temperaturen unterhalb von -18 °C wird die Hefeaktivität vollständig und die Enzymaktivität weitestgehend unterbunden. Die Lagerfähigkeit selbst der besonders empfindlichen Halbfabrikate umfasst in diesem Temperaturbereich daher mehrere Wochen bis Monate. Frosten kann man ungegarte Teiglinge, (vor)gegarte Teiglinge und halbgebackene Ware.

Tiefkühlung: das Patentrezept für maximale Lagerung?

In der Praxis hat sich gezeigt (und die Wissenschaft hat die Belege dafür geliefert), dass teigschonendes Tiefkühlen möglichst rasch erfolgen muss, weil nur so die Bildung grober Eiskristalle, die die empfindliche Teigstruktur beschädigen können, unterbleibt und Backwaren mit gutem Volumen entstehen. Die Tiefkühlung unter -18 °C nimmt in unserer Betrachtung insofern eine Sonderstellung ein, als sie als einziger der angegebenen Temperaturbereiche nicht nur zum Unterbrechen der Gärung (im Sinne einer Langzeitführung), sondern ganz generell zur Langzeitlagerung (also zeitlichen „Pufferung“) beliebig weit fertiggestellter Backwaren eingesetzt werden kann – vollständig abgebackene Backwaren durchaus inklusive. 

Prinzipiell (aber eben nur prinzipiell) lassen sich die verschiedenen hier aufgeführten Temperaturbereiche in beliebiger Folge kombinieren, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Aus der vollkommen unstrittigen Tatsache, dass sich enzymatische und Hefegärungsvorgänge durch entsprechende Temperierung beschleunigen, verlangsamen oder unterbrechen lassen, darf man nun freilich nicht einfach schließen, man bräuchte, um Teiglinge zu einem bestimmten Zeitpunkt backfertig zu haben, nur noch in einer Tabelle ablesen, wie lange man sie bei welcher Temperatur lagern muss, um exakt den gewünschten Zeithorizont zu überbrücken.

Und für den Notfall könne man sie ja jederzeit beliebig lange in den Frostungstiefschlaf versenken. Derart schlicht funktioniert Teigführung in der Praxis leider nicht, nicht einmal dann, wenn man sich auf die „Zauberkräfte“ moderner Backhilfsmittel stützt. Das liegt zum einen an den Prozessen selbst. Man kann beispielsweise den Gärprozess nicht beliebig in die Länge ziehen, nicht einmal auf Tiefkühlniveau, weil früher oder später Abbauprozesse die Teiglinge ruinieren.

Die Chemie muss stimmen: Hefe- und Enzymaktivitäten verstehen

Ein anderer Grund dafür liegt darin, dass die verschiedenen biochemischen Vorgänge unterschiedlich auf Temperaturänderungen reagieren. Die Enzyme, die in den Teiglingen vor allem zur Ausbildung der Aroma und Farbgrundstoffe zuständig sind, reagieren deutlich zögerlicher auf Temperaturabsenkungen als die zum Gären eingesetzte Hefe. Im Temperaturbereich zwischen -18 °C und -7 °C wird beispielsweise zwar die Hefegärung gestoppt, die enzymatische Aktivität aber nur sehr stark verlangsamt, nicht aber zur Gänze eingestellt. Der enzymatische Abbau verläuft also (trotz vollkommener Gärunterbrechung) immer noch weiter. Deshalb kann ein Teigling in diesem  Temperaturbereich auch nicht unbegrenzt gelagert werden (unverpackte Brötchen haben beispielsweise einen Lagerhorizont von maximal 3 bis 4 Tagen).
In Kälteanlagen wie dieser können die unterschiedlichen Verfahren stattfinden. Vom Frosten übers Lagen bis zum Gärverzögern oder Gären.

Wem an Qualität liegt, der wird sich daher darum bemühen müssen, durch eine kluge Temperierungsfolge die Hefe- und die Enzymaktivitäten in eine ausgewogene Gleichgewichtslage zu bringen, was Auswahl und Kombinationsmöglichkeiten der Klimatisierungsphasen deutlich einschränkt.

Schließlich ist das Teiglingsbacken – und selbstverständlich auch jede Art der Teigführung – immer in einem Gesamtkontext (des Betriebes, der Backstubenorganisation, der Filialbelieferung, …) zu sehen, was allzu phantasievolle Klimatisierungsabfolgen in aller Regel sofort ausschließt. 

Die Qual der Wahl: Den einen Königsweg gibt es nicht

Bei der Bewertung eines Teiglingsbackverfahrens müssen also neben der damit erzielbaren Produktqualität immer auch seine Auswirkungen auf das ganze Produktionsumfeld bedacht sein, auf die betriebliche Organisation zum Beispiel, die Anforderungen an Kühl- und Lagerfläche, die Energiekosten, die Transportfähigkeit der Teiglinge, usw.

Deshalb nehmen wir auch im Folgenden die Gesamtheit der Abläufe in den Blick, die mit einer bestimmten Prozessfolge verbunden sind, von der Fertigstellung der Teiglinge, besser noch: beginnend bei der Rezeptur und den Rohstoffen über eventuelle Gär-, Kühl-, Frostungs und Lagerungsstufen bis hin zur Expedition und zum abschließenden Backen im Laden oder an einer anderen kunden- bzw. verzehrsnahen Station. Denn ein Verfahren will in all diesen Disziplinen bedacht sein, bevor es sich als Königsweg für Ihre Produktion empfiehlt. 

Grafik Backstubenzirkel
Backstuben sind komplexe Organismen: Jeder Parameter steht in einer empfindlichen Wechselbeziehung zu allen anderen – jede kleine Veränderung eines Wertes macht das Nachjustieren der anderen Stellgrößen erforderlich.

Bei Ihrer persönlichen Entscheidungsfindung wird es letzten Endes immer darauf ankommen, welches Ziel Sie mit einem Herstellungsverfahren vorrangig verfolgen wollen. Ein Bäcker, der vor allem daran interessiert ist, qualitativ möglichst hochwertige Backwaren mit charakteristischem Aroma nebst intensiver Farbe und Geschmack zu erzeugen, wird möglicherweise einen bestimmten Temperaturbereich favorisieren, bei dem die Hefegärung nur verlangsamt ist, die enzymatische Aktivität aber weiter voranschreitet, und er wird dabei im Interesse höchstmöglicher Produktqualität eventuelle organisatorische Komplizierungen durchaus in Kauf nehmen.

Wie auch immer: Nur wenn der Gesamtablauf auf das gewünschte Ergebnis hin optimiert und in die übrigen Abläufe einer Bäckerei bestmöglich integriert ist, lassen sich die hohen Ziele erreichen, die üblicherweise (und durchaus berechtigt) mit der Einführung einer (neuen) Strategie zur Teiglingsproduktion verbunden sind.

Das hat Sie neugierig gemacht? Unsere Fachberater, Teigtechnologen, Technikexperten und Backmeister erarbeiten gerne gemeinsam mit Ihnen, wie die Verfahren in Ihrer Produktion bestmöglich eingesetzt werden können.

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